Ausbau der Stromnetze: Durch Finanzierungsidee der Bundesregierung drohen 220 Milliarden Euro vermeidbare Kosten
Neue Studie
Ausbau der Stromnetze: Durch Finanzierungsidee der Bundesregierung drohen 220 Milliarden Euro vermeidbare Kosten
Pläne der Bundesregierung, den unerlässlichen massiven Ausbau der deutschen Stromnetze wesentlich über öffentlich-private Partnerschaften mit privatem Eigenkapital zu finanzieren, sind ineffizient. Bis 2037 droht ein gesamtwirtschaftlicher Verlust von insgesamt 220 Milliarden Euro, wenn die im Koalitionsvertrag angekündigten entsprechenden Vorhaben umgesetzt würden.
Der Betrag summiert sich zu etwa gleichen Teilen aus vermeidbaren direkten Mehrkosten und entgangenem Wirtschaftswachstum. Das liegt daran, dass private Investoren wie Beteiligungsgesellschaften oder Banken hohe Renditen für ihren Kapitaleinsatz fordern, wie langjährige Erfahrungen mit privat (ko-)finanzierten Infrastrukturprojekten zeigen.
Weitaus günstiger wäre es, den Netzausbau ausschließlich durch öffentliche Beteiligungsgesellschaften zu finanzieren, die Finanzmittel günstig vom Bund oder den Ländern erhalten. Das ergibt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie von Ökonomen der Universität Mannheim.* Weiterer Vorteil: Für diesen Finanzierungsweg müsste nicht auf das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen zurückgegriffen werden, das anderenfalls allein durch den Stromnetzausbau zu einem großen Teil ausgeschöpft wäre.
Öffentliche Beteiligungsgesellschaften, für die es beispielsweise in Hamburg bereits ein organisatorisches Beispiel gibt, liegen im staatlichen Eigentum und bündeln verschiedene wirtschaftliche Aktivitäten. „Sie sind ein Finanzierungskonzept, das mit einer minimalen institutionellen Veränderung eine maximale Reduktion der Finanzierungskosten erreicht“, fassen die Studienautoren Prof. Dr. Tom Krebs und Dr. Patrick Kaczmarczyk ihre Ergebnisse zusammen.
Dieses Potenzial beim Ausbau der Energieinfrastruktur nicht zu nutzen, würde sowohl Privathaushalte als auch Unternehmen durch unnötig hohe Netzentgelte zur Refinanzierung massiv belasten. „Dabei handelt es sich um eine reine Umverteilung von der inländischen Realwirtschaft hin zu internationalen Finanzinvestoren wie BlackRock und Union Investment“, schreiben die Ökonomen. „Die Studie zeigt, dass es erhebliche Spielräume gibt, mit den Milliarden für den dringend notwendigen Ausbau unserer Infrastruktur so viel wie irgend möglich zu erreichen“, sagt Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. „In diesem Rahmen ist eine unvoreingenommene Diskussion darüber wichtig, welche Rolle der Staat beim Ausbau von Infrastrukturen spielen kann und soll.“
Investitionen in die Infrastruktur wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten vernachlässigt – der Nachholbedarf ist riesig.
Hinzu kommen die Kosten für den Ausbau der Stromnetze. Nach Schätzung von Krebs und Kaczmarczyk werden dafür bis 2037 Investitionen in Höhe von 440 Milliarden Euro erforderlich sein, wenn die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft weiter vorangetrieben werden soll. Davon entfallen 260 Milliarden Euro auf die überregionalen Übertragungsnetze und 180 Milliarden Euro auf die Verteilnetze.
Zwar wird der Netzausbau der Privatwirtschaft zugerechnet, er muss aber durch die öffentliche Hand massiv unterstützt werden, weil die Netzbetreiber allein überfordert wären. Das kann entweder in Form von öffentlichem Beteiligungskapital geschehen oder von staatlichen Garantien und Zuschüssen für privates Eigenkapital. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist ein Investitionsfonds vorgesehen, der durch das Zusammenspiel von staatlichen Garantien und privatem Eigenkapital zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen beitragen soll.
-Jeweils 110 Milliarden Euro direkte und indirekte Nachteile-
Am Beispiel Stromnetzausbau haben Kaczmarczyk und Krebs berechnet, welche Finanzierungsoption die effizientere und damit für Privathaushalte und stromverbrauchende Unternehmen günstigere ist. Wenn private Beteiligungsgesellschaften das notwendige Eigenkapital für den Stromnetzausbau bereitstellen, dann erwarten sie eine entsprechende Rendite. Die Betreiber der Strom- und Gasnetze sind jedoch de facto Monopolisten und die Preise entstehen nicht durch Wettbewerb.
Hohe Renditeforderungen der privaten Kapitalgeber würden zu höheren Kosten führen, weshalb die Bundesnetzagentur die Netzentgelte stärker als notwendig erhöhen oder der Staat die Investitionsprojekte bezuschussen müsste. Der dadurch verursachte Anstieg der Netzentgelte würde die Netzkosten laut der Studie bis 2037 um zusätzlich rund 110 Milliarden Euro erhöhen.
Höhere Netzentgelte und somit höhere Energiekosten würden zudem auch dem Wachstum schaden und zu gesamtwirtschaftlichen Verlusten führen. Die Nachteile würden sich durch diese indirekten Effekte um weitere 110 Milliarden Euro auf insgesamt 220 Milliarden Euro bis 2037 erhöhen. Öffentliche Zuschüsse können den Anstieg der Netzentgelte zwar dämpfen, ändern aber nichts daran, dass die Finanzierung des Netzausbaus durch privates Eigenkapital ineffizient ist. In diesem Fall würden die Verbraucherinnen und Verbraucher die hohen Renditen der Finanzinvestoren zwar nicht direkt bezahlen, aber aufgrund von Ausgabenkürzungen in anderen Bereichen indirekt tragen.
-Die öffentliche Hand bietet bessere Konditionen-
Eine Alternative sind aus Sicht der Wissenschaftler öffentliche Beteiligungsgesellschaften, die staatliche Finanzmittel erhalten. Die Idee dahinter: Bund und Länder nehmen zu niedrigen Zinsen Kredite auf und stärken damit die Eigenkapitalbasis der Netzbetreiber. Das zusätzliche Fremdkapital wird weiterhin von Sparkassen, Banken und Anleihenmärkten bereitgestellt. In beiden Bereichen können staatliche Garantien genutzt werden, um gute Konditionen zu gewährleisten.
In einem ersten Schritt können Unternehmensbeteiligungen der öffentlichen Hand auch als Programm der KfW umgesetzt werden. Mittelfristig ist jedoch eine separate Gesellschaft des Bundes beziehungsweise des jeweiligen Landes sinnvoll. „Durch die Bereitstellung von öffentlichem Eigenkapital zu günstigen Konditionen können die Finanzierungskosten gesenkt und die Investitionsbedarfe langfristig gesichert werden“, erklären Kaczmarczyk und Krebs.
Weiterer Vorteil: Die Eigenkapitalfinanzierung von Infrastrukturinvestitionen über die KfW oder öffentliche Beteiligungsgesellschaften sind finanzielle Transaktionen, die von der Schuldenbremse ausgenommen sind, da sie das staatliche Eigentum direkt vergrößern. Somit werden die finanziellen Spielräume in anderen Bereichen nicht eingeschränkt und die 500 Milliarden Euro aus dem Infrastruktur-Sondervermögen bleiben unangetastet.
Öffentliche Beteiligungsgesellschaften können ihr Potenzial jedoch nur ausschöpfen, wenn sie gemeinwohlorientierte Ziele verfolgen. Das bedeutet, dass öffentliche Unternehmen im Infrastrukturbereich nicht wie privatwirtschaftliche Akteure agieren, die nur betriebswirtschaftliche Größen betrachten, sondern ihre Entscheidungen auf Basis gesamtwirtschaftlicher Erwägungen treffen.
-Konzept ist auf eine Vielzahl von Infrastrukturbereichen übertragbar-
Krebs und Kaczmarczyk heben hervor, dass das Konzept der öffentlichen Beteiligungsgesellschaften nicht nur beim Stromnetzausbau große Vorteile bietet, sondern auf eine Vielzahl von Infrastrukturbereichen übertragbar ist. Dazu zählen unter anderem der Gebäudesektor, der öffentliche Nahverkehr sowie die soziale Infrastruktur. Auch hier gilt nach Analyse der Ökonomen: Die Bereitstellung von öffentlichem Eigenkapital über Beteiligungsgesellschaften kann Finanzierungskosten erheblich senken, private Haushalte entlasten und gleichzeitig Investitionen beschleunigen.
Das Modell der Finanzierung kritischer Infrastruktur über öffentliche Beteiligungsgesellschaften ist laut Krebs und Kaczmarczyk daher generell sinnvoller als das von Union und SPD angedachte Zusammenspiel von staatlichen Garantien und privatem Kapital. Allenfalls in Bereichen, in denen ein gewisser Wettbewerb herrscht und die Preise nicht von Regulierungsbehörden festgelegt werden, könnten die Pläne von Union und SPD eine zweckmäßige Lösung sein. Ein Beispiel hierfür sei der Bau von Windkraftanlagen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Christina Schildmann
Leiterin Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung
Tel.: 0211-7778-194
E-Mail: Christina-Schildmann@boeckler.de
Patrick Kaczmarczyk, PhD
Universität Mannheim, Abteilung Volkswirtschaftslehre
Tel.: 0151-56426821
E-Mail: patrick.kaczmarczyk@uni-mannheim.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
Originalpublikation:
*Patrick Kaczmarczyk, Tom Krebs: Öffentliche Beteiligungsgesellschaften zur effizienten Finanzierung der Infrastruktur und Daseinsvorsorge, Working Paper Forschungsförderung Nr. 373, Juli 2025. Download: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-009163
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