Gasförderprojekt in der Nordsee: Zögerliche Politik, entschlossene Zivilgesellschaft
Gestern, 2. Juli 2025, hat das Bundeskabinett einem Abkommen mit den Niederlanden zugestimmt. Es ermöglicht die grenzüberschreitende Förderung von Erdgas in der deutschen Nordsee und schließt einen langwierigen politischen Prozess auf mehreren Regierungsebenen ab. Das Abkommen könnte jedoch durch ein ausstehendes Gerichtsurteil nachträglich anfechtbar werden. Eine neu publizierte Studie des IDOS untersucht politische Dynamiken rund um marine Gasförderung, die Genehmigungsverfahren sowie den Widerstand gegen das Gateway to the Ems (GEMS) Gasförderprojekt.
Die Autorin, Dr. Irit Ittner, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsabteilung Umwelt-Governance des IDOS, die von Ende 2021 bis Ende 2024 in einem Projekt der SustainMare Mission der Deutschen Allianz Meeresforschung forschte, arbeitete die zentralen Unterschiede beider Länder mit Blick auf die marine Gasförderung heraus.
Die Niederlande setzten seit Anfang der 1970er Jahre auf die Förderung von Erdgas aus ihrem Teil der Nordsee, die Sicherung des nationalen Bedarfs sowie Exporte. Deutschland dagegen verließ sich seit den 1970er Jahren auf ausländische Produktionsstätten, Pipelines und Importe. Nur wenige marine Gasprojekte in der deutschen Nordsee wurden umgesetzt. Die niederländische Regierung sah sich schon früh mit landesinternen Interessenskonflikten, kontroversen Debatten, Protesten und Klagen konfrontiert. Sie musste in die öffentliche Diskussion gehen und schloss 2007 einen politischen Kompromiss. In Deutschland hingegen erregten die Gasimporte aus Norwegen, den Niederlanden und Russland kaum das Interesse von Verbraucher*innen und von Umweltschutzorganisationen. Produktionsrisiken wurden externalisiert und politische Interessen nicht hinterfragt. Die deutsche Nordsee wurde weiterhin vor allem als Naturraum wahrgenommen. Die Studie illustriert die Wirksamkeit dieser historischen Pfadabhängigkeiten in den Genehmigungsverfahren des GEMS-Projektes, in der politischen Entscheidungsfindung sowie im Widerstand dagegen.
Zögerliches Handeln auf deutscher Seite
Die politische Verantwortung in Deutschland lag seit 2019 bei drei niedersächsischen Landesregierungen, weil sich das Projektgebiet in niedersächsischen Küstengewässern befindet. Doch keine Landesregierung erteilte dem neuen fossilen GEMS-Projekt geschlossen und durchgängig eine Zu- oder Absage. Klare, greifbare politische Signale, die ggf. zu einer Ablehnung der Genehmigungen aufgrund öffentlichen Interesses hätten führen können, blieben aus Sicht der Forschenden aus. Projektgegner*innen aus Deutschland und den Niederlanden klagten und riefen das UNESCO-Welterbekomitee an.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass auch die politischen Signale auf nationaler Ebene (Regierung unter Olaf Scholz) erst nicht klar genug und dann zu spät gesetzt wurden. Diese zögerliche, unentschlossene Haltung kontrastierte stark mit dem resoluten Auftreten der niederländischen Regierung, die das GEMS-Projekt seit 2019 umfänglich unterstützte. Dies spiegelte sich auch in den niederländischen Gerichtsverfahren, an denen niedersächsische und deutsche Politiker*innen und Behörden zunächst nur wenig Interesse zeigten.
Zivilgesellschaft trägt Klagerisiko
Laut der Studie teilen sich die GEMS-Gegner*innen in zwei Gruppen auf: die Klagenden (Deutsche Umwelthilfe, Saubere Luft Ostfriesland, Mobilisation of the Environment, Borkum und Juist) sowie weitere Umweltgruppen und Umweltverbände. Eine besondere Stellung nahm dabei Greenpeace Deutschland ein. Die Organisation klagte nicht selbst, unterstützte aber mit eigenen Gutachten und Berichten die Beweisführung der Klagenden.
„Obwohl das umstrittene GEMS-Projekt im Grunde einen Nutzungskonflikt zwischen industrieller Nutzung und Meeresschutz darstellt, wurde der Widerstand stark durch Argumente des Klimaschutzes motiviert und durch entsprechende Akteur*innen vorangetrieben“, erklärt Dr. Irit Ittner. Erst im Zuge der juristischen Vorbereitung rückten der marine Artenschutz und konkrete Auswirkungen auf bedrohte Steinriffe stärker in den Fokus. Weder Akteur*innen des Meeresschutzes noch die großen populären Klimabewegungen in Deutschland spielten dabei eine signifikante Rolle.
Die Arbeit anderer Organisationen gegen GEMS sei auf jeden Fall wichtig, insbesondere das Engagement von Greenpeace. Die zentrale Herausforderung liege jedoch auf struktureller Ebene: „Da Nutzungskonflikte regelmäßig von Gerichten entschieden werden, ist heute die wesentliche Frage, wer letztendlich in das finanzielle Risiko einer Klage geht, wer die personellen Ressourcen zur Verfügung stellt für die Beweisführung.“ Ittner betont: „In diesem Fall haben das wieder zivilgesellschaftliche Organisationen übernommen, mit Spendengeldern und unglaublich viel ehrenamtlichem Engagement.“
Gerade deshalb sei es problematisch, wenn politische Entscheidungsträger*innen zögern oder Entscheidungen als rein technisch abtun: „Wenn man politisch zu zögerlich ist oder keine Entscheidung treffen möchte, dann entscheiden am Ende nicht öffentliche Stellen oder Expert*innen, sondern Gerichte. Und danach sind politische Handlungsoptionen, auch für folgende Regierungen, enorm eingeschränkt“, so Ittners klare Botschaft an die Politik.
Dass ihre Forschung heute aktueller denn je ist, überrascht selbst sie etwas: „Als ich Anfang 2022 meine Forschung begonnen habe, wurde ich von einigen Meeresforscher*innen ungläubig angeschaut. Gasförderung in der deutschen Nordsee war gar kein Thema. Dinge können sich schnell ändern.“
Die Studie wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie den deutschen Küstenländern finanziert (CREATE Projekt, DAM-SustainMare Mission, 03F0877E).
Die Studie (auf Englisch) können Sie unten als PDF herunterladen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Irit Ittner
Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsabteilung Umwelt-Governance des IDOS
Email: Irit.Ittner@idos-research.de
Originalpublikation:
https://link.springer.com/article/10.1007/s40152-025-00434-z
https://www.cogitatiopress.com/oceanandsociety/article/view/8893
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