Von 0 auf 100 in 12 Minuten – Fahrplan für Lithium-Schwefel-Akkus
Internationale Studie zeigt Potenzial schnellladender Lithium-Schwefel-Batterien für E-Mobilität und Energiewende
Einmal Kaffee holen und das Auto ist vollgeladen – so stellen sich viele die Mobilität der Zukunft vor. Doch heutige Batterien sind davon noch ein gutes Stück entfernt. Zwar laden moderne Lithium-Ionen-Batterien von 20 auf 80 Prozent in etwa 20 bis 30 Minuten, eine vollständige Ladung dauert jedoch deutlich länger – und das schnelle Laden belastet die Zellen stark.
Eine neue internationale Übersichtsstudie im Fachjournal „Advanced Energy Materials“ zeigt nun, wie Lithium-Schwefel-Batterien (LSBs) diese Grenzen überwinden könnten. Forschende aus Deutschland, Indien und Taiwan – koordiniert von Dr. Mozaffar Abdollahifar aus der Gruppe von Professor Rainer Adelung von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) – haben dafür hunderte aktuelle Studien systematisch analysiert und legen dar, mit welchen Mechanismen sich LSBs auch bei hohen Ladegeschwindigkeiten stabil und leistungsfähig betreiben lassen. Ihr Ziel: Ladezeiten von unter 30 Minuten – im Idealfall sogar nur zwölf Minuten – bei gleichzeitig höherer Energiedichte und größerer Reichweite.
Mehr Reichweite, schneller laden
LSBs gelten als vielversprechende Nachfolger der etablierten Lithium-Ionen-Batterien. In diesen werden Lithium-Ionen in feste Elektrodenmaterialien ein- und ausgelagert, bei LSBs laufen chemische Reaktionen ab, bei denen neue Verbindungen entstehen. Zum Einsatz kommt dabei eine metallische Lithium-Anode in Kombination mit einer Schwefel-Kathode, was theoretisch eine Kapazität von 2600 Wattstunden pro Kilogramm ausmacht – rund zehnmal so viel wie bei konventionellen Systemen. E-Fahrzeuge könnten damit künftig deutlich längere Strecken mit nur einer Ladung zurücklegen.
Ein weiterer Vorteil: Schwefel ist kostengünstig, weltweit verfügbar, umweltfreundlich und ungiftig – auch ökonomisch spricht vieles für einen Umstieg auf Schwefel als Kathodenmaterial.
Technische Herausforderungen der LSB-Technologie
Bislang stehen der breiten Anwendung jedoch technische Hürden im Weg: Schwefel ist ein elektrischer Isolator und muss mit leitfähigen Zusatzstoffen kombiniert werden – was das Batteriegewicht erhöht. Die Kathode dehnt sich beim Laden und Entladen um bis zu 80 Prozent aus, was die mechanische Stabilität und Lebensdauer beeinträchtigen können.
Hinzu kommt der „Shuttle-Effekt“: Während der Entladung entstehen lösliche Lithium-Polysulfide, die zur Anode wandern und dort unerwünschte Nebenreaktionen verursachen – mit negativen Folgen für Effizienz und Stabilität. „Außerdem können an der Lithium-Metall-Anode Dendriten – nadelartige Strukturen – wachsen, die Kurzschlüsse auslösen und im schlimmsten Fall Brände verursachen können“, erklärt Erstautor Jakob Offermann.
Strategien für schnelles Laden bei hoher Sicherheit
Die Studie untersucht gezielt Arbeiten mit besonders schnellen Ladezeiten (ab 2C, d. h. Laden in unter 30 Minuten) und hoher Schwefelbeladung – beides entscheidend für die Praxis. Wichtige Lösungsansätze sind:
• Kathoden-Design: Leitfähige Kohlenstoffstrukturen, wie Nanoröhren, Graphen oder Aktivkohle verbessern den Ionentransport und die Schwefelausnutzung – auch bei hoher Materialbeladung. Defektreiche und dotierte Kohlenstoffe helfen zusätzlich den Shuttle-Effekt zu verringern.
• Katalytische Materialien: Metalloxide, Chalcogenide oder Einzelatom-Katalysatoren beschleunigen die Schwefelreaktionen und reduzieren den Shuttle-Effekt.
• Optimierte Separatoren: Funktionelle Trennschichten fangen Polysulfide ein und fördern den schnellen Ionentransport.
• Neue Elektrolytsysteme: Hochkonzentrierte und feste Elektrolyte sowie spezielle Additive verbessern die Leitfähigkeit, die Verträglichkeit mit Lithium-Metall und unterdrücken Nebenreaktionen.
• Stabile Anoden: Schutzschichten wie 3D-Lithium-Strukturen und künstliche Grenzflächen verhindern Dendritenbildung.
• Neue Schwefel-Formen: Monoklines γ-Schwefel erlaubt eine direkte Festkörperreaktion – ganz ohne Shuttle-Effekt.
• Materialentwicklung mit Hilfe künstlicher Intelligenz: KI-Methoden beschleunigen die Materialsuche, sagen Batterieperformance voraus und helfen, Ladeprozesse effizienter und sicherer zu gestalten.
LSBs als Schlüsseltechnologie der Zukunft
„Unsere Analyse zeigt, dass Schnellladezeiten unter 30 Minuten – teils sogar unter 15 Minuten – bei gleichzeitiger Kapazitätssteigerung realistisch sind“, sagt Mozaffar Abdollahifar. „Derzeit erreichen erste Prototypen vielversprechende Werte von etwa 2 mAh pro Quadratzentimeter bei praxistauglichen Ladegeschwindigkeiten. Um jedoch bestehende Lithium-Ionen-Batterien wirklich zu übertreffen, müssen Materialbeladung und Leistungsfähigkeit weiter gesteigert werden.“
Die Studie vereint Materialienwissenschaft, Elektrochemie, Nanotechnologie und Batterietechnik zu einem ganzheitlichen Ansatz für schnellladende Batterien. Sie präsentiert eine neue Methodik, die als Leitfaden für die Entwicklung leistungsstarker, langlebiger und sicherer LSBs dient. Mit klaren Kriterien und einem systematischen Vorgehen bietet die Arbeit einen praxisorientierten Fahrplan für die Umsetzung von Schnelllade-LSBs in den Bereichen Mobilität und Energiespeicherung.
Weiterführende Informationen:
Die Forschung wurde durch Drittmittel aus verschiedenen Quellen unterstützt:
Gefördert wurden unter anderem durch ein deutsch-indisches Kooperationsprojekt zu Lithium-Schwefel-Batterien durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie ein regionales Projekt in Schleswig-Holstein durch Mittel der Europäischen Union. Weitere Unterstützung kam von der Shiv Nadar Institution of Eminence in Indien sowie von nationalen Forschungsprogrammen. Auch in Taiwan wurde die Arbeit durch die nationale Wissenschaftsbehörde und eine Partneruniversität im Bereich Chemieingenieurwesen gefördert.
Pressekontakt:
Christina Anders
Wissenschaftskommunikation
Forschungsschwerpunkt KiNSIS
E-Mail: canders@uv.uni-kiel.de
Telefon: 0431/880 4855
Über den Forschungsschwerpunkt KiNSIS
Im Nanokosmos herrschen andere, quantenphysikalische, Gesetze als in der makroskopischen Welt. Strukturen und Prozesse in diesen Dimensionen zu verstehen und die Erkenntnisse anwendungsnah umzusetzen, ist das Ziel des Forschungsschwerpunkts KiNSIS (Kiel Nano, Surface and Interface Science) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Aus der intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Physik, Chemie, Ingenieur- und Lebenswissenschaften entstehen neue Moleküle und Materialien, Sensoren und Batterien, Quantentechnologien, katalytische Verfahren, medizinische Therapien und vieles mehr. www.kinsis.uni-kiel.de
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Mozaffar Abdollahifar
AG Funktionale Nanomaterialien
E-Mail: moza@tf.uni-kiel.de
Telefon: 0431/880-6345
Originalpublikation:
Jakob Offermann et al.: „Fast-Charging Lithium-Sulfur Batteries“, Advanced Energy Materials (2025); DOI: doi.org/10.1002/aenm.202404383
Weitere Informationen:
https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/114-schwefelbatterien
https://www.uni-kiel.de/de/tf/forschen/institut-materialwissenschaft/funktionale-nanomaterialien
https://sites.google.com/snu.edu.in/nerl/home?authuser=0
https://chemical0216.wixsite.com/my-site
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