Studie zu Googles Werbemacht: Regulierung alleine reicht nicht
Google kontrolliert große Teile des digitalen Werbemarkts. Eine neue Studie aus Passau legt nahe, dass es mit regulatorischen Maßnahmen nicht getan sein wird. Aber wie sollte eine sinnvolle Zerschlagung aussehen?
Alphabet, Googles Muttergesellschaft, dominiert weite Teile der technischen Infrastruktur für den digitalen Werbemarkt. Dazu gehört auch die Lieferkette, über die Werbeflächen heute automatisiert gehandelt werden. Dieses System, Programmatic Advertising genannt, entscheidet binnen Millisekunden, welche Anzeige an welche Nutzerin oder Nutzer ausgespielt wird. Was einst als Versprechen für mehr Effizienz und Transparenz galt, hat sich zu einer Struktur verdichtet, in der Google heutzutage der führende Anbieter auf jeder Stufe ist. Es trifft oft gleichzeitig Kauf- und Verkaufsentscheidungen für Werbetreibende und Webseitenbetreiber, legt die Auktionsregeln fest und konkurriert auf der Verkäuferseite mit den Angeboten unabhängiger Medienhäuser. „Diese Bündelung wirtschaftlicher Rollen schafft strukturelle Interessenkonflikte, die am Ende zu einem Rückgang der Vielfalt an frei zugänglichen Online-Inhalten führen kann“, erklärt Alexander Witte, der am DFG-Graduiertenkolleg „Digital Platform Ecosystems“ an der Universität Passau zum Wettbewerb zwischen Werbetechnologieplattformen forscht.
Gemeinsam mit seinem Doktorvater Prof. Dr. Jan Krämer vergleicht Witte in einer neuen Studie, wie Verhaltensauflagen, etwa Transparenz- oder Interoperabilitätsregeln, und strukturelle Eingriffe bis hin zur Entflechtung auf dieses Spannungsfeld wirken. Ihr Fazit: In einem so hochkomplexen, intransparenten System lassen sich Verhaltensregeln kaum lückenlos durchsetzen – die ständige Prüfung von Millionen Echtzeit-Auktionen wäre aufwendig und würde Googles Anreize nicht berühren. Nach Ansicht der Autoren lässt sich fairer Wettbewerb erst wiederherstellen, wenn die strukturellen Interessenskonflikte an der Wurzel getrennt werden. Die Studie mit dem Titel „Evaluating Structural and Behavioral Remedies for Anticompetitive Conducts in the Ad Tech Ecosystem“ ist im Juni 2025 im renommierten Fachjournal Telecommunications Policy erschienen.
Ergebnisse im Überblick:
• Weil Alphabet gleichzeitig Daten sammelt, die größten Dienste zum Verkauf und Erwerb von Werbeflächen anbietet und die Regeln des Marktplatzes bestimmt, hat es einen Anreiz, eigene Dienste zu bevorzugen.
• Solche Selbstbevorzugung beinhaltet exklusive Schnittstellen und Google-eigene Datenströme, die Wettbewerbern den Zugang zu Werbeflächen und Zielgruppen erschweren. Dadurch tendieren Werbetreibende dazu, ihre Budgets vor allem über die Plattformen des Konzerns zu steuern, und Webseitenbetreiber wählen primär Googles Dienste, um keine Umsatzeinbußen beim Verkauf von Werbeflächen zu riskieren.
• Die hohen Kosten einer flächendeckenden Kontrolle von Gleichbehandlungs- oder Offenlegungspflichten in diesem Fall reduzieren deren Wirksamkeit. Gezielte Entflechtungen sind effektiver, weil sie den Anreiz zur Selbstbevorzugung von vornherein entfernen.
Wie eine gezielte strukturelle Entflechtung aussehen könnte
„Wir wollen Google nicht zerlegen, sondern den Konflikt dort lösen, wo er entsteht“, sagt Alexander Witte, Hauptautor der Studie. Die Studie empfiehlt, dass der Konzern seine Verwaltung von Werbebudgets für Werbeflächen anderer Webseitenbetreiber vollständig einstellen sollte. Dadurch entfiele jede Google-eigene Instanz, die im „offenen Web“ Gebote abgibt und gleichzeitig Auktions¬regeln festlegt. Konkret beinhaltet der Vorschlag der Forschenden, dass Alphabet die Gebotsplattform Display & Video 360 veräußern müsste. Den Dienst Google Ads, früher AdWords, dürfte der Konzern behalten – allerdings strikt auf eigene Werbeinventare beschränkt. „So kann Google seine Reichweite weiter vermarkten, ohne gleichzeitig als scheinbar neutraler Verkäufer im offenen Web aufzutreten“, betont Witte. Der Interessenskonflikt, zugleich Auktions-Veranstalter und -Teilnehmer zu sein, würde entfallen, und der behördliche Kontroll¬aufwand sänke drastisch.
Über die Autoren
Prof. Dr. Jan Krämer ist Inhaber des Lehrstuhls für Internet- und Telekommunikationswirtschaft der Universität Passau und stellvertretender Sprecher des DFG-Graduiertenkollegs 2720 „Digital Platform Ecosystems“. Der Wirtschaftsinformatiker forscht seit Jahren zu digitalen Märkten und Plattformregulierung und berät dazu Entscheidungspersonen auf europäischer und internationaler Ebene, jüngst etwa die britische Regierung im Streit um die Video-Plattform TikTok, die gegen ihre Millionenstrafe wegen Missachtung des Datenschutzes für Kinder in Berufung gegangen ist. In einer Studie, die kürzlich in dem renommierten Fachjournal MIS Quarterly erschienen ist, untersucht Krämer mit seinem Co-Autor, wie sich die im Digital Markets Act vorgesehenen Regulierungen auf Innovationen und Wohlfahrt auswirken.
Alexander Witte ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Krämer und Doktorand im DFG-Graduiertenkolleg 2720, der weltweit größten Forschungsgruppe zum Thema digitale Plattformen. Es vereint Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen. Dazu zählen neben der Wirtschaftsinformatik Forschende aus den Bereichen Betriebswirtschaftslehre, der Volkswirtschaftslehre und der Kommunikationswissenschaft.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jan Krämer
Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Internet- und Telekommunikationswirtschaft
Universität Passau
E-Mail: Jan.Kraemer@uni-passau.de
Alexander Witte
Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Internet- und Telekommunikationswirtschaft
Universität Passau
E-Mail: Alexander.Witte@uni-passau.de
Originalpublikation:
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0308596125000527?via%3Dihub
Weitere Informationen:
https://www.ibusiness.uni-passau.de/fileadmin/dokumente/fakultaeten/wiwi/lehrstuehle/kraemer/05_ra_10.25300_misq_2024_18428_1-1.pdf Regulating Digital Platform Ecosystems Through Data Sharing and Data Siloing: Consequences for Innovation and Welfare (MIS Quarterly
https://www.dpe.uni-passau.de/en Webseite des Passauer DFG-Graduiertenkollegs 2720 „Digital Platform Ecosystems“
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