Lohnt sich ein Balkonkraftwerk? HSBI-Studierende entwickeln Tool zur Entscheidungsfindung
Schwarz-glänzend, mit bläulichem Schimmer oder einfach in der Sonne glitzernd: Photovoltaikmodule an Balkongeländern oder an Hauswänden sind immer öfter zu sehen. Im „Praxisprojekt Angewandte Wissenschaft“ haben Studierende am Campus Minden der Hochschule Bielefeld jetzt ein Tool entwickelt, mit dem sich herausfinden lässt, ob sich die Installation eines solchen sogenannten Balkonkraftwerks im individuellen Fall lohnt.
Minden (hsbi). Weit vor Veranstaltungsbeginn sitzen die Studierenden schon im Seminarraum. Die Laptops aufgeklappt, stecken sie die Köpfe zusammen, besprechen offene Fragen, testen die Präsentation. Als Prof. Dr. Frank Hamelmann dazukommt, ändert sich an der Arbeitsweise nicht viel. „Ich bin in diesem Fall nur eine Art Mentor, die Studierenden organisieren sich selbst“, erklärt der Physiker und Experte für Solaranlagen am Campus Minden der Hochschule Bielefeld (HSBI). Schließlich geht es um das Projekt Angewandte Wissenschaft (PAW) „Simulation der Nutzung einer Photovoltaikkleinanlage“.
Studierende bearbeiten praxisnahe Aufgabenstellung eigenverantwortlich
PAWs sind fester Bestandteil der praxisintegrierten Studiengänge Elektrotechnik, Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen am Campus Minden, in denen die Bachelor-Studierenden zugleich in Unternehmen beschäftigt sind und abwechselnd Praxisphasen im Betrieb und Theoriephasen an der Hochschule durchlaufen. Die PAWs, durchgeführt im sechsten Semester, verbinden Theorie und Praxis im geschützten Rahmen. „Die Studierenden bearbeiten eine konkrete, praxisnahe Aufgabenstellung frei und eigenverantwortlich im interdisziplinären Team, sie tüfteln, testen, probieren aus“, erklärt Frank Hamelmann das Konzept.
Insgesamt 13 Studierende haben sich für sein PAW entschieden, bis auf drei angehende Elektroingenieure allesamt Studierende des Wirtschaftsingenieurwesens. Kein Wunder, ist das Thema mit der Bewertung des Einsatzes einer Photovoltaik-Kleinanlage doch an einer Schnittstelle von Technik und Wirtschaft angesiedelt. „Wirtschaftsingenieure müssen nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen und bestenfalls gesellschaftspolitischen Gegebenheiten im Blick haben“, sagt Hamelmann. Und die sind nicht überall gleich: „Längst nicht alle Regionen der Welt sind etwa an das öffentliche Stromnetz angeschlossen. Hier könnten kleine PV-Anlagen eine kostengünstige und nachhaltige Möglichkeit zur Energieversorgung sein.“
Studierende aus China und Bhutan sind zugeschaltet
Um internationale Perspektiven einzubringen, hat der Professor in einer Lehrkooperation das PAW auch für Studierende der Universität in Mindens Partnerstadt Changzhou geöffnet. „Gerade im Bereich Photovoltaik bestehen schon seit vielen Jahren Verbindungen.“ Involviert sind außerdem Studierende der University Bielefeld Hainan in China und der Royal University of Bhutan, per Zoom sind sie der Besprechung zugeschaltet. „Für alle eine gute Gelegenheit, die Arbeit in internationalen Teams kennenzulernen, die Kommunikation auf Englisch zu üben und Einblicke in andere Kulturen zu erhalten“, findet Frank Hamelmann. Auch wenn die Studierenden in diesem Fall vor allem die Schwierigkeiten der internationalen Zusammenarbeit erfahren: Neben der Zeitverschiebung erwies sich die Kommunikation auf Englisch insbesondere im Fall der chinesischen Studierenden als Hemmnis. Hinzu kommt, dass die Teilnahme für die internationalen Studierenden eine freiwillige Leistung war – nicht unbedingt motivationsfördernd, wie Hamelmann rückblickend feststellt: „Künftig wollen wir die Lehrkooperation formell so ausgestalten, dass die internationalen Studierenden von ihren Hochschulen ebenfalls Credits erhalten.“
Viele Parameter bestimmen die Effektivität einer PV-Kleinanlage
So konzentrierten sich die Mindener Studierenden weitgehend auf den Einsatz von PV-Kleinanlagen in Deutschland und teilten sich in drei Arbeitsgruppen auf. Die erste kümmerte sich um die Simulation einer PV-Anlage: Wie viel Strom würde ein Balkonkraftwerk unter bestimmten Bedingungen produzieren können? Klingt nach einer relativ einfachen Aufgabe? Jannik Backhaus schmunzelt. „Habe ich zuerst auch gedacht, dann aber schnell gemerkt: Das ist ziemlich komplex.“ Die Gruppe identifizierte eine Reihe von Parametern, die Einfluss auf die Stromerzeugung haben. „Die Ausrichtung spielt ebenso eine Rolle wie der Neigungswinkel oder die Anzahl der Module“, nennt Valeria Uffelmann Beispiele. Zudem unterschieden sie nach Monaten und nach verschiedenen Standorten je nach Bundesländern. „Auch die Lage wirkt sich aus“, wirft Hamelmann ein. „Auf dem Land ist die Luftverschmutzung in der Regel geringer als in der Stadt.“ Für ihre Simulationen nutzten die Studierenden dann das „Photovoltaic Geographical Information System“ der EU (PVGIS), das für beliebige Geopunkte Messwerte der Sonnenstrahlung zur Verfügung stellt. Uffelmann scrollt in ihrer Exceltabelle nach unten, weiter und weiter. „Mit sämtlichen Parametern und Kombinationen haben sich am Ende 42.000 Zeilen ergeben.“ Backhaus ergänzt: „Dabei haben wir schon vereinfacht, indem wir nur stündliche Werte für einen Referenztag pro Monat berücksichtigt haben.“
Verbrauch und Ertrag müssen zusammenpassen
Mit der anderen Seite beschäftigte sich die zweite Gruppe, sie simulierte den Stromverbrauch eines durchschnittlichen Haushalts. Und zwar im zeitlichen Verlauf. „Klar, nachts wird in der Regel weniger Strom genutzt als tagsüber“, erläutert Frank Hamelmann. Auf Grundlage des Standardlastprofils für Privathaushalte des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ermittelten die Studierenden den Tagesverbrauch im Viertelstundentakt, für die verschiedenen Monate und unter unterschiedlichen Bedingungen. Schnell hatten sie die Verantwortlichen für Ausreißer identifiziert: „Wärmepumpen oder Elektroautos verursachen bedeutende Abweichungen, das heißt extreme Lastspitzen. Wird beispielsweise ein Elektroauto geladen, kann das in dem Moment bis zu 80 Prozent des Haushaltsverbrauchs ausmachen“, erklärt David Siemonsmeier. Ihm gefiel besonders die realistische Aufgabenstellung des PAWs: „Das Projekt ist nicht so abstrakt, sondern recht nah am privaten Leben.“
Und da gilt es mitunter herauszufinden, wie gut der geschätzte Ertrag eines Balkonkraftwerks mit dem erwarteten Verbrauch zusammenpasst. Die dritte Arbeitsgruppe übernahm dafür die Zusammenführung der Daten – und schickte sie der ersten Gruppe gleich wieder zur Überarbeitung zurück. „Die Werte waren nicht stimmig. Zum Beispiel sollte die Stromerzeugung teilweise mittags am niedrigsten sein, obwohl die Sonneneinstrahlung dann am höchsten ist“, erklärt Ole Thormählen. Ein technischer Fehler in den Messdaten? Wolken, die für starke Verschattung sorgten? Die Studierenden rätselten nicht lange, sondern lösten das Problem kurzerhand mit Vergleichswerten aus den vorigen Jahren. Eine Herausforderung blieben die Daten aber immer noch. „Durch die unterschiedlichen Quellen lieferten die einen viertelstündliche Werte, die anderen stündliche. Zur Weiterverarbeitung mussten wir sie erst noch vereinheitlichen“, beschreibt Pablo Hernández die Schwierigkeit. Dann kam die Kür der Gruppe: die Wirtschaftlichkeit. Die Studierenden ergänzten Strompreise und Einspeisungsvergütung, Kosten für die Module und als i-Tüpfelchen: einen Speicher. „So kann am Ende auch abgefragt werden, ob sich die relativ hohe Investition einer Batterie lohnen würde.“ Und die Überproduktion in den Sommermonaten im eigenen Haushalt genutzt werden könnte.
Mit den Erfahrungen und Ergebnissen des PAWs: Würden die Studierenden denn selbst eine PV-Kleinanlage auf ihrem Balkon installieren? Ole Thormählen überlegt nur kurz. Schaut auf seinen Rechner, tippt ein paar Kennzahlen ein und sagt: „Ja. Das lohnt sich.“
Weitere Informationen:
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