Höchste Präzision bei zentraler physikalischer Größe erreicht
Physik: Veröffentlichung in Nature
Das Ion des Wasserstoffmoleküls ist hervorragend geeignet, um Ultrapräzsionsmessungen wichtiger physikalischer Konstanten zu machen. Physiker der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) um Prof. Stephan Schiller Ph.D. haben nun die Methode der „dopplerfreien Laserspektroskopie“ erstmal am H₂⁺-Ion eingesetzt, mit der sie die bisherige Messgenauigkeit erheblich verbessern können. Daraus kann auch das Massenverhältnis von Proton zu Elektron mit höherer Genauigkeit als bisher bestimmt werden, wie sie in der Zeitschrift Nature berichten. Die Methode öffnet einen Pfad, um Aspekte „neuer Physik“ zu überprüfen.
Das molekulare Wasserstoffion H₂⁺ ist das einfachste Molekül. Gerade seine Einfachheit macht es zu einem perfekten Untersuchungsobjekt für die Physik, denn seine Eigenschaften – beispielsweise die Energieniveaus – lassen sich präzise berechnen. So können theoretische Vorhersagen mit experimentellen Messungen verglichen werden, um zu überprüfen, ob die Theorien die Wirklichkeit korrekt wiedergeben.
Am Institut für Experimentalphysik der HHU will die Arbeitsgruppe um Prof. Stephan Schiller Ph.D. die Genauigkeit der Messungen immer weiter vorantreiben. Warum, erläutert Prof. Schiller: „Es geht um die Suche nach ‚neuer Physik‘, also nach Phänomenen, die das äußerst erfolgreiche Standardmodell der Teilchenphysik nicht erklären kann. Indem wir ultrapräzise theoretische Vorhersagen für H₂⁺ mit ähnlich präzisen experimentellen Messungen vergleichen, suchen wir nach kleinsten Abweichungen.
Dr. Soroosh Alighanbari, Postdoktorand in der Arbeitsgruppe und Erstautor einer neuen Studie in Nature, ergänzt: „Finden wir Abweichungen, kann dies auf eine neue, ‚fünfte Kraft‘ hindeuten, die über die vier bekannten fundamentalen Wechselwirkungen hinaus existiert. Oder wir können untersuchen, ob versteckte zusätzliche Dimensionen existieren, die die Gravitation auf kleinen Skalen beeinflusst.“
Das HHU-Forschungsteam nutzt Quantentechnologien – Ionenfallen, Laserspektroskopie und Laserfrequenzmesstechnik –, um H₂⁺-Übergangsfrequenzen zu vermessen. Alighanbari: „In früheren Arbeiten bestimmten wir zum ersten Mal direkt laserspektroskopisch einen Schwingungsübergang in H₂⁺. Die Messgenauigkeit war aber durch den sogenannten Doppler-Effekt begrenzt, der die Spektrallinien verbreitert und verschiebt.“
Den HHU-Physikern gelang es nun, ihre bisher erreichten Laserspektroskopieergebnisse erheblich zu verbessern. Sie konnten durch ein spezielles, in Düsseldorf entwickeltes Verfahren der „dopplerfreien Laserspektroskopie“ den in einem früheren Experiment noch störenden Doppler-Effekt aufheben. Zusätzlich schalteten sie weitere störende Effekte von externen elektrischen und magnetischen Felder aus.
„Wir fangen Molekülionen zusammen mit Atomionen, die mit Lasern kühlbar sind, in einer Falle zusammen ein“, erläutert Alighanbari den Düsseldorfer Ansatz: „Die kalten Atome kühlen die Moleküle mit ab und verlangsamen so deren Bewegung drastisch. Doch da reicht dies noch nicht ausreichte, um die Dopplerverbreiterung vollständig zu eliminieren, wählten wir eine spezielle Spektroskopiegeometrie, mit der dies möglich wurde.“
Mithilfe der gemessenen Schwingungsspektren können die Physiker Grundkonstanten der Natur berechnen. Diese Größen finden sich etwa in den Gleichungen der Quantenmechanik wieder und legen dort etwa die Energieniveaus von Atomen und Molekülen fest. Entsprechend bestimmen sie auch die Frequenz absorbierten oder emittierten Lichts, wenn ein Atom oder Molekül zwischen zwei Niveaus wechselt.
Mit dem Düsseldorfer Experiment kann das Verhältnis von Protonenmasse (mp) zu Elektronenmasse (me) bestimmt werden, denn für Moleküle ist die Protonenmasse besonders relevant. Schiller: „Die Molekülspektroskopie eignet sich besonders gut für die extrem genaue Messung des Massenverhältnisses von Proton und Elektron (mp/me). Diese dimensionslose Konstante bestimmt den Maßstab für Teilchenmasseeffekte in molekularen Schwingungs- und Rotationsenergien.“
In der Fachzeitschrift Nature stellen die Forschenden ihre Ergebnisse vor. Sie bestimmten das Verhältnis mp/me mit einer Unsicherheit von nur 26 Teilen pro Billion. Damit konnte die Genauigkeit um drei Größenordnungen gegenüber den früheren Messungen gesteigert werden. Alighanbari: „Dieses Ergebnis stimmt nicht nur mit der Penningfallen-Massenspektrometrie, einer weiteren führenden Technik, überein, sondern übertrifft diese in ihrer Präzision.“
„Unser Ergebnis betrifft nicht nur mp/me. Es ist ein Meilenstein, um grundlegende Symmetrien der Natur zu erforschen, insbesondere die CPT-Symmetrie“, betont Prof. Schiller die weitreichenden Potenziale der Ergebnisse: „Unser Ansatz kann letztendlich einen viel empfindlicheren CPT-Test ermöglichen, indem wir einen Übergang in H₂⁺ mit seinem Antimaterie-Gegenstück vergleichen. Dazu muss noch die Synthese von Anti-H₂⁺ beispielsweise am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf gelingen.“
Hintergrund: Physik jenseits des Standardmodells
Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt zwar fundamentale Teilchen und Kräfte bemerkenswert gut, doch tiefgreifende Rätsel bleiben ungelöst: etwa die Natur der Dunklen Materie – deren Masse den Großteil des Universums ausmacht – und der Dunklen Energie – deren Wirkung die Ausdehnung des Universums auf großen Dimensionen beschleunigt. Weitere offene Fragen lauten: Warum ist die Schwerkraft so schwach, warum haben Neutrinos Masse und warum besteht das Universum überwiegend aus Materie und nicht aus Antimaterie?
Um die Materie-Antimaterie-Antisymmetrie im Universum untersuchen zu können, kann H₂⁺ in Zukunft mit seinem Antimaterie-Gegenstück verglichen werden. Verhalten sich die Moleküle spektroskopisch nicht exakt gleich – Physiker sprechen davon, dass die CPT-Symmetrie verletzt ist, nach der sich Materie und Antimaterie identisch verhalten sollten –, erlaubt diese möglicherweise Rückschlüsse, warum nach dem Urknall ein allein mit Materie gefülltes Universum zurückblieb.
Originalpublikation:
S. Alighanbari, M. R. Schenkel, V. I. Korobov & S. Schiller. High-accuracy laser spectroscopy of H2+ and the proton–electron mass ratio. Nature 644, 69-75 (2025).
DOI: 10.1038/s41586-025-09306-2
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