Universität Konstanz punktet doppelt bei den ERC Starting Grants
Von der Natur inspirierte Wege der Naturstoffmodifikation entwickeln sowie die Anpassung von Organismen an Umweltveränderungen erforschen: Der Europäische Forschungsrat fördert die Projekte TAILOMET von Lena Barra und PHENOTIPPING von Catalina Chaparro-Pedraza mit je einem ERC Starting Grant in Höhe von 1,5 Millionen Euro.
Der Europäische Forschungsrat (ERC) hat am 4. September 2025 die Projekte der neuen ERC Starting Grants bekanntgegeben. Unter den geförderten Forscher*innen befindet sich die Konstanzer Chemikerin Lena Barra. Für ihr Projekt TAILOMET erhält sie über einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt 1,5 Millionen Euro Förderung. Außerdem wird das Projekt PHENOTIPPING von Catalina Chaparro-Pedraza ebenfalls mit insgesamt 1,5 Millionen Euro gefördert. Die Ökologin arbeitet derzeit am Eawag – Swiss Federal Institute of Aquatic Science and Technology in Zürich. Sie plant, das Projekt am Limnologischen Institut der Universität Konstanz durchzuführen.
Lena Barra: TAILOMET – mit ein bisschen „Magie“ zum neuen Wirkstoff
Bei TAILOMET dreht sich alles um Terpene – das sind natürliche Kohlenstoffverbindungen, die unter anderem den Duft vieler Pflanzen prägen. Entsprechend werden sie seit jeher in Parfüms und als natürliche Aromastoffe eingesetzt. Doch Terpene sind auch für die pharmazeutische Industrie hochinteressant, da viele von ihnen antimikrobielle, entzündungshemmende oder andere medizinisch relevante Eigenschaften haben. Um ihr Potenzial für neue Produkte und Wirkstoffe zu erschließen, wäre es entscheidend, Terpene gezielt verändern zu können.
Besonders spannend sind dabei sogenannte nicht-klassische Terpene, die von den üblichen „Bauregeln“ der Natur abweichen. Normalerweise setzt die Natur Terpene aus immer gleichen C5-Bausteinen zusammen, deren Grundgerüst aus fünf Kohlenstoffatomen besteht – eine Art universelles Baukastenprinzip. In manchen Organismen werden diese Regeln jedoch durchbrochen, indem zusätzliche Kohlenstoffatome eingefügt werden. Solche seltenen „Ausnahmen von der Regel“ eröffnen neuartige chemische Strukturen, die bisher kaum erforscht sind und ein enormes Potenzial für neue Anwendungen bergen.
Genau das möchte Barra mit ihrem Team nun ebenfalls erreichen: Sie will Terpene mithilfe von Enzymen durch das Anfügen sogenannter Methylgruppen verändern. „Es ist hinlänglich bekannt, dass das Anfügen einer einzigen Methylgruppe drastische Auswirkungen auf die pharmakologischen Eigenschaften eines Wirkstoffs oder auf den Geruch eines Aromastoffes haben kann. Die Wirkung, die eine solche Methylierung hat, ist oft überraschend und kaum vorhersagbar, weshalb dabei auch vom ‚magischen Methyl-Effekt‘ gesprochen wird“, erklärt Barra.
Neue, von der Natur inspirierte Wege der Naturstoffmodifizierung
Leider gibt es bisher kaum geeignete Methoden, um Methylgruppen in Terpengerüste einzubringen, und diesen magischen Methyl-Effekt für die Entwicklung von Terpen-basierten Wirkstoffen zu nutzen. Doch die Natur selbst scheint über unterschiedlichste Organismen – von Bakterien über Pilze bis hin zu Pflanzen – zahlreiche Möglichkeiten hervorgebracht zu haben, Terpene zu modifizieren. „Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass es einen bisher verborgenen Schatz an natürlichen Enzymen und Reaktionswegen gibt, der uns völlig neue Möglichkeiten eröffnet“, so Barra. Dieser Schatz soll nun im TAILOMET-Projekt geborgen werden.
„Unser Ziel ist es, die Enzyme, die diese Reaktionen in der Natur ermöglichen, zu identifizieren und ihre Reaktionswege aufzudecken. Die gewonnenen Erkenntnisse werden wir dann nutzen, um katalytische Systeme nach dem Vorbild der Natur zu entwickeln, die uns die gezielte Methylierung von Terpenen gestatten“, so Barra. So soll das Projekt bestehende Wissenslücken in der Enzym-Biochemie der Terpen-Methylierung schließen und einen schnellen Zugang zu Terpenen mit feinjustierten oder sogar gänzlich neuen Eigenschaften bieten.
Catalina Chaparro-Pedraza: PHENOTIPPING – Anpassung von Organismen in Zeiten ökologischen Wandels
Von Menschen verursachte Veränderungen belasten die Ökosysteme immer mehr, und das immer schneller. So wächst auch die Sorge, dass diese voranschreitenden Umweltveränderungen die Funktionsweise von Ökosystemen erheblich verändern werden und diese als Folge in einen alternativen stabilen Zustand kippen. Während sich die Forschung bislang intensiv damit beschäftigt hat, Kipp-Phänomene zu verstehen und vorherzusagen, fand die Fähigkeit von Organismen, sich solchen Umweltveränderungen anzupassen, eher wenig wissenschaftliche Beachtung. Ökologin Catalina Chaparro-Pedraza will mithilfe des ERC Starting Grants untersuchen, wie solche Anpassungen die ökologische Resilienz beeinflussen.
Ob und wann ein Ökosystem einen so kritischen Schwellenwert erreicht, dass es kippt, hängt sehr davon ab, wie empfindlich Organismen auf Umweltbelastungen reagieren. Diese Sensibilität wird durch phänotypische, also beobachtbare Merkmale beeinflusst. Im Wesentlichen bestehen zwei Möglichkeiten, wie sich diese Merkmale an wandelnde Umweltbedingungen anpassen können: durch Evolution im Laufe der Zeit oder durch phänotypische Plastizität. Letztere bedeutet, dass ein einzelner Genotyp – also das genetische Material eines Organismus – je nach Umweltbedingungen unterschiedliche Phänotypen oder beobachtbare Merkmale ausprägen kann. „In meinem Projekt werde ich erforschen, wie ökologische Entwicklungen, Umweltbelastungen und Anpassungen zusammenwirken. Außerdem möchte ich herausfinden, wie sie die Resilienz von Ökosystemen beeinflussen, die Umweltveränderungen ausgesetzt sind“, sagt Chaparro-Pedraza.
Catalina Chaparro-Pedraza wird das Projekt interdisziplinär angehen und dabei theoretische und empirische Ansätze verbinden. Sie erklärt: „Zunächst werde ich ein theoretisches Rahmenkonzept entwickeln, um zu verstehen, wie Anpassungen Kipp-Phänomene in Ökosystemen beeinflussen. In einem nächsten Schritt werde ich die theoretischen Vorhersagen überprüfen, indem ich empirisch untersuche, wie die Geschwindigkeit von Umweltveränderungen und Anpassungen zusammenwirken. Dabei teste ich auch ihren Einfluss auf die Weiterentwicklung des Ökosystems, nachdem es in einen alternativen stabilen Zustand gekippt ist.“ Dazu wird die Ökologin Experimente mit Phytoplankton-Populationen durchführen.
Chaparro-Pedraza arbeitet derzeit als Nachwuchsgruppenleiterin am Eawag – Swiss Federal Institute of Aquatic Science and Technology, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs, in Zürich (Schweiz). Mit dem ERC Starting Grant plant sie, ein Forschungsteam am Limnologischen Institut der Universität Konstanz zu leiten und dabei eng mit der Arbeitsgruppe von Lutz Becks, Professor für Limnologie an der Universität Konstanz, zusammenzuarbeiten.
Über den ERC Starting Grant
Der ERC vergibt jährlich Starting Grants an junge, talentierte Persönlichkeiten aus der Forschung. Diese sollen so die Möglichkeit bekommen, ihre eigene Arbeitsgruppe auf- und auszubauen und Forschungsprojekte mit hohem Innovationspotenzial voranzutreiben.
Faktenübersicht:
- Lena Barra erhält einen ERC Starting Grant in Höhe von 1,5 Millionen Euro.
- Das Projekt TAILOMET erforscht neue, von der Natur inspirierte Wege der Naturstoffmodifikation für die Herstellung maßgeschneiderter Terpenoide.
- Barra ist 2022 auf ein Tenure-Track-Professur für Systemische Chemische Biologie an die Universität Konstanz berufen worden und leitet dort seit 2023 die Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe „Identifizierung und biosynthetische Untersuchungen von NAD-abgeleiteten Naturstoffen“.
- Catalina Chaparro-Pedraza erhält ebenfalls einen ERC Starting Grant in Höhe von 1,5 Millionen Euro.
- Das Projekt PHENOTIPPING: Tipping dynamics and resilience in adapting ecological systems” untersucht, wie Anpassungen – durch Evolution oder phänotypische Plastizität – die ökologische Resilienz beeinflussen. Das Projekt kombiniert sowohl theoretische als auch empirische Ansätze.
- Seit 2025 arbeitet Chaparro-Pedraza als Nachwuchsgruppenleiterin am Eawag – Swiss Federal Institute of Aquatic Science and Technology, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs, in Zürich (Schweiz). Mit dem ERC Starting Grant plant sie, ein Forschungsteam am Limnologischen Institut der Universität Konstanz zu leiten.
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