Netzwerker der Natur: Myzelforschung am Fraunhofer WKI
Für Pilzfans ist der Herbst die Hauptsaison, denn die feuchteren Bedingungen und sinkenden Temperaturen sind ideal für das Wachstum der Pilze. Wenn sich Dr. Henrik-Alexander Christ und Dr. Steffen Sydow vom Fraunhofer WKI auf die Suche nach Pilzen begeben, interessieren sie sich jedoch nicht nur für den Fruchtkörper. Für die Forschenden ist vor allem das fadenförmige Geflecht der Hyphen, das sogenannte Myzel, spannend. Es befindet sich unter der Erde und seine Fähigkeiten lassen sich für die Herstellung unterschiedlicher Materialien nutzen. Die beiden Forschenden beschäftigen sich mit dem Potenzial myzelbasierter Werkstoffe zum Beispiel für den Einsatz in der Baubranche.
»Die Vielfalt und Biodiversität im Reich der Pilze ist enorm: Pro Pflanzenart kommen in einem Gebiet etwa 6 Pilzarten vor. Bisher wurden jedoch nur etwa zehn Prozent aller Pilzarten auf der Welt entdeckt und beschrieben. Nicht nur viele Pilzarten, sondern auch viele Funktionsweisen des Myzels sind noch unbekannt. Als Chemiker und Materialforscher mit einer zusätzlichen Ausbildung im Bereich Mykologie fasziniert mich die vielfältige Einsatzmöglichkeit von Myzel in Werkstoffen. Wir haben hier die Chance, ökologisch unbedenkliche und recyclingfähige Materialien zu entwickeln und damit Gutes zu bewirken«, erklärt Dr. Henrik-Alexander Christ, Wissenschaftler am Fraunhofer WKI.
Es gibt Pilze, die fast alle organischen Stoffe, wie Pflanzenfasern oder Holzpartikel, zersetzen können. Als Myzel wird die Gesamtheit der fadenförmigen Zellen eines Pilzes bezeichnet. Bei der Zersetzung von organischen Materialien bildet das Myzel ein dreidimensionales Netzwerk, aus dem sich eine selbsttragende Struktur ergibt. Im Rahmen des Stoffwechselprozesses werden Substrate wie Sägespäne vom Myzel durchzogen. Dabei entsteht ein weiches, schwammartiges und rein organisches Verbundmaterial, das in jede gewünschte Form gebracht werden kann. »Das Myzel hat sozusagen die Funktion eines biologisch gewachsenen Klebstoffs«, fasst Dr. Christ zusammen.
Am Fraunhofer WKI zeigen die Forschenden, welche Potenziale im Bauen mit Myzel stecken. »Durch die Verwendung von organischen Substraten wie Fasern aus Elefantengras können wir Reststoffe nutzen, um einen zu 100 Prozent biobasierten, abbaubaren, nachwachsenden und energiearmen Baustoff herzustellen. Mithilfe verschiedener Verfahren können die gewünschten Eigenschaften und Leistungsmerkmale des Baustoffs, wie Textur, Festigkeit, Elastizität und Faserorientierung, gesteuert und gezielt erzeugt werden«, erläutert Dr. Steffen Sydow, Wissenschaftler am Fraunhofer WKI.
In Zusammenarbeit mit lokalen Kooperationspartnern aus Braunschweig konnten die Forschenden bereits nachhaltige Wärmedämmstoffe für Gebäude herstellen. Auch ein Bühnenbild für das Staatstheater Braunschweig ist aus Elefantengrasfasern entstanden, die mit Myzel durchwachsen waren. Außerdem haben die Forschenden Lampenschirme für die Leuchten auf der Bühne des Theaters hergestellt, berichtet Dr. Sydow: » Mit den Lampenschirmen konnten wir die Kompetenz des Fraunhofer WKI auf eine weitere Weise unter Beweis stellen. Die pilzartig geformten Schirme bestehen aus teilweise heißgepresstem Myzelmaterial. Es gibt zahlreiche weitere potenzielle Einsatzmöglichkeiten für heißgepresste Myzelmaterialien, an denen wir sehr gern weiterforschen würden.«
In der Natur bilden Pilzmyzele Netzwerke. Bäume und Pilze gehen Symbiosen ein, auch die Forschenden am Fraunhofer WKI kooperieren in Netzwerken. Eine Kooperation der besonderen Art entsteht gerade zwischen Kunst und Wissenschaft im vom Fraunhofer-Netzwerk »Wissenschaft, Kunst und Design« geförderten Projekt »LuminousNetworks«. »Mit dem Projekt ›LuminousNetworks‹ möchten wir die faszinierenden Möglichkeiten von myzelbasierten Materialien einer breiten Öffentlichkeit nahebringen. Der bildende Künstler Malte Taffner nutzt unser technologisches Know-how, um Skulpturen aus Holzresten und lebendigem Myzel zu erschaffen – bunt schillernd und mit natürlichem Schutzschild. In seiner künstlerischen Auseinandersetzung verknüpft Malte Taffner technologische Innovationen mit aktuellen Fragestellungen im Hinblick auf Diversität und Schutz als Überlebensstrategie für die Natur und soziale Gemeinschaften«, berichtet Dr. Christ.
Das Fraunhofer WKI:
Wir bauen die Zukunft aus nachwachsenden Rohstoffen. Seit 1946.
Nachhaltigkeit ist seit der Gründung des Fraunhofer WKI im Jahre 1946 das zentrale Thema. Der Gründer und Namensgeber Dr. Wilhelm Klauditz gilt als Pionier der modernen Holzwerkstoffindustrie. Heute nutzt das Fraunhofer WKI die ganze Bandbreite nachwachsender Rohstoffe, um daraus nachhaltige Werkstoffe, Bauteile und Chemieerzeugnisse zu entwickeln.
Das Institut mit Standorten in Braunschweig, Hannover und Wolfsburg ist spezialisiert auf Verfahrenstechnik, Formgebung und Komponentenfertigung mit Biowerkstoffen, biobasierte Bindemittel und Beschichtungen, Funktionalisierung, Brandschutz, Werkstoff- und Produktprüfungen, Recyclingverfahren sowie den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen in Gebäuden und Fahrzeugen. Darüber hinaus gehört das Fraunhofer WKI zu den führenden Forschungseinrichtungen im Bereich Innenraumluftqualität.
Nahezu alle Verfahren und Produkte, die aus der Forschungstätigkeit des Instituts hervorgehen, werden industriell genutzt. Mit seiner Forschung und Entwicklung leistet das Fraunhofer WKI einen wichtigen Beitrag für den Aufbau einer biobasierten Kreislaufwirtschaft (Zirkuläre Bioökonomie).
Weitere Informationen:
https://www.wki.fraunhofer.de/de/presse-medien/2025/Presseinfo_2025-12_Myzelforschung-am-Fraunhofer-WKI.html
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