Bedrohte Steppenlandschaft in Deutschland
Die Federgras-Steppe ist die Pflanzengesellschaft des Jahres 2026. Wo sie in Deutschland vorkommt und warum wir sie in Zukunft brauchen werden.
Pflanzengesellschaften sind wiederkehrende Kombination charakteristischer Pflanzenarten, die unter bestimmten Standortbedingungen entstehen. Sie spielen eine zentrale Rolle für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Daher kürt die Floristisch-soziologische Arbeitsgemeinschaft jedes Jahr eine „Pflanzengesellschaft des Jahres“. Für 2026 fiel die Wahl auf die Federgras-Steppe – ein in Deutschland vom Aussterben bedrohter Vegetationstyp.
Der Trierer Pflanzenökologe Dr. Thomas Becker forscht seit vielen Jahren intensiv zu Steppenökosystemen. In diesem Jahr war er am Auswahlprozess entscheidend beteiligt und hat gemeinsam mit einem internationalen Autorenteam einen umfassenden Übersichtsartikel über die Federgras-Steppe verfasst.
Relikt der Eiszeit
Zum Ende der Eiszeiten bis vor etwa 10.000 Jahren bildeten Steppen in den Tieflagen Mitteleuropas die vorherrschende Vegetation. Als es danach wärmer wurde, breiteten sich Wälder aus und die Steppenlandschaften verschwanden. „Nur an besonders trockenen Standorten in Gebieten mit geringem Niederschlag konnten sie sich mit Unterstützung der damals noch vorkommenden Wildpferde, Wisente oder Auerochsen kleinflächig halten. Ab der Jungsteinzeit, als der Mensch sesshaft wurde, sorgten dann dessen Weidetiere dafür, dass die Steppenreste erhalten blieben“, erklärt Thomas Becker. Diese finden sich heute unter anderem in den Trockengebieten von Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg sowie des nördlichen Oberrheingrabens in Rheinland-Pfalz bei Mainz.
Mit der Einführung der industriellen Landwirtschaft verschwand die Federgras-Steppe durch Intensivierung oder Aufgabe der Landnutzung mehr und mehr. Obwohl viele Bestände heute in Schutzgebieten liegen, gehen sie weiter rapide zurück oder ihr Erhaltungszustand verschlechtert sich. Hauptursachen dafür sind Stickstoffeinträge aus Industrie und Verkehr, unzureichende Pflege und auch die Ausbreitung der Aufrechten Trespe. Die aus Südwest-Mitteleuropa stammenden Grasart überwächst den ohnehin schon bedrohten Landschaftstyp regelrecht.
Hotspot der Biodiversität
Dabei ist die Federgras-Steppe ein Hotspot seltener und gefährdeter Arten, wodurch sie für den Erhalt der Biodiversität besonders wichtig ist. Von den 58 für sie charakteristischen Pflanzenarten in Deutschland sind nach den Roten Listen beispielsweise 89 Prozent selten bis extrem selten, und 81 Prozent gefährdet, stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Auch für viele Bestäuber sind die Steppen bedeutsam. Allein in zwei Thüringer Federgras-Steppen-Gebieten wurden jeweils über 150 Bienenarten gefunden, ein Viertel der in Deutschland vorkommenden Arten, darunter viele seltene.
Auch ökologisch könnte die Federgras-Steppe zukünftig an Bedeutung zunehmen. „Wenn wir mit mehr Trockenheit konfrontiert werden und sich steppenartige Klimabedingungen ausbilden werden, braucht es eine Vegetation, die gut an diese Bedingungen angepasst ist“, sagt Becker. „Sofern sie erhalten bleiben, können die heutigen Restvorkommen der Federgras-Steppe dann als Ausgangspunkte für ihre erneute Ausbreitung dienen.“
Um die negative Entwicklung aufzuhalten und den Verlust dieser wertvollen Pflanzengesellschaft zu verhindern, sind dringend verstärkte Schutzmaßnahmen erforderlich. Dazu gehört ihre Beweidung – idealerweise mit Eseln im Winter. Denn die Langohren fressen das Federgras-Stroh und die im Winter grüne Aufrechte Trespe, während die gefährdeten Arten in der kalten Jahreszeit einziehen. „Außerdem würde beispielsweise die Umstellung auf E-Mobilität die Stickstoffeinträge aus Industrie und Verkehr reduzieren“, so Becker.
Flyer zur Pflanzengesellschaft des Jahres: https://www.tuexenia.de/wp-content/uploads/Flyer_PGJ_2026.pdf
Zur Publikation: https://www.tuexenia.de/aktivitaeten/pflanzengesellschaft-des-jahres/
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Thomas Becker
Geobotanik
Mail: beckerth@uni-trier.de
Tel. +49 651 201-2205
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