Rekordwert in der Mößbauer-Spektroskopie: Antimon-Borosulfat zeigt extrem schwache Bindung
Ein Forschungsteam der Universität Augsburg hat zusammen mit Teams aus Münster und Aachen mithilfe der Mößbauer-Spektroskopie an Antimon-Borosulfaten nachgewiesen, dass zwischen Metallion und Anion nur eine extrem schwache Bindung vorliegt. Der gemessene Rekordwert der chemischen Isomerieverschiebung liefert neue Einblicke in die Chemie dieser jungen Materialklasse und eröffnet Perspektiven für funktionale Materialien. Die Erkenntnisse, die unter Federführung der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Henning Höppe am Lehrstuhl für Festkörperchemie entstanden, wurden jüngst in der renommierten Fachzeitschrift Angewandte Chemie veröffentlicht.
Ein neuer Blick auf eine junge Stoffklasse
Borosulfate sind vielversprechende, noch vergleichsweise junge, kristalline Verbindungen in der anorganischen Chemie. 2012 wurde erstmalig die Struktur eines Borosulfats von der Arbeitsgruppe Höppe an der Universität Augsburg mittels Einkristall-Röntgendiffraktometrie aufgeklärt. Sie sind strukturell mit Silikaten verwandt, zeichnen sich durch eine besonders große Vielfalt an Strukturen und ungewöhnliche chemische Eigenschaften aus. Höppe betont, dass Borosulfate für eine ganze Reihe von Anwendungen interessant sind, z. B. für Leuchtstoffe im UV-Bereich, Ionenleiter für moderne Batterien oder auch für die Katalyse bei Industrieanwendungen.
Ein zentrales Merkmal: ihre außergewöhnlich schwache Koordinationskraft, also die geringe Stärke, mit der sie Metallionen binden.
Forschende der Universität Augsburg haben dieses Phänomen nun in Zusammenarbeit mit einem Team aus Münster erneut experimentell belegt – mithilfe der sogenannten Mößbauer-Spektroskopie an neuen Antimon-Borosulfaten. Diese Spektroskopie erlaubt einen Blick in die chemische Bindung der untersuchten Antimonatome.
Negativer Rekordwert als klarer Beweis
Im Zentrum der Studie stehen neue Verbindungen der Zusammensetzung SbX[B(SO₄)₂]₄, in denen Antimon mit verschiedenen einwertigen Kationen wie Kalium, Rubidium, Cäsium, Ammonium oder sogar Silber, Thallium und Nitrosyl kombiniert ist. Trotz unterschiedlicher Kationen bleibt die grundlegende Anionenstruktur erhalten.
Die entscheidende Entdeckung gelang bei der spektroskopischen Untersuchung: Die gemessene Isomerieverschiebung des Antimons beträgt im Mittel rund –22 Millimeter pro Sekunde – ein bislang nicht beobachteter Wert in der Mößbauer-Spektroskopie von Antimon. Erstautor Turgunbajew, Doktorand an der Universität Augsburg, weist darauf hin, dass solch stark negative Werte eine sehr hohe s-Elektronendichte am Antimonkern anzeigen und damit die extrem schwache Koordination durch das polymere Borosulfatanion belegen.
Zum Vergleich: Selbst Antimon-Verbindungen, die bislang als besonders schwach koordiniert galten, zeigen deutlich weniger negative Werte. Die vorgestellten Messungen setzen damit eine neue Referenz.
Struktur, Elektronenpaar und neue Bausteine
Die Studie zeigt zudem, dass nicht nur die Größe der einwertigen Kationen, sondern auch das sogenannte freie Elektronenpaar des dreiwertigen Antimons strukturbestimmend sind. Je nach Zusammenspiel dieser Faktoren kristallisieren die Verbindungen in unterschiedlichen Raumgruppen.
Überraschend entdeckte das Team außerdem eine zweite Gruppe von Verbindungen: SbX[B₄O₂(SO₄)₆] mit Lithium oder Natrium. Diese Borosulfate besitzen ein völlig neues, eindimensional polymeres Anion mit B-O-B-Brücken und bilden einen bislang unbekannten Strukturtyp – ein weiterer Hinweis auf die außergewöhnliche Vielseitigkeit dieser Stoffklasse.
Theorie bestätigt Experiment
Begleitende quantenchemische DFT-Berechnungen eines Teams der RWTH Aachen bestätigen die experimentellen Ergebnisse und zeigen einen direkten Zusammenhang zwischen Elektronendichte am Kern und Isomerieverschiebung. Weitere Methoden wie Infrarotspektroskopie, thermische Analyse und temperaturabhängige Röntgenbeugung ergänzen das umfassende Bild der neuen Materialien.
Fundamentale Erkenntnisse mit Perspektive
Die Arbeit liefert nicht nur einen spektakulären spektroskopischen Rekord, sondern vertieft das grundlegende Verständnis der chemischen Bindung in Borosulfaten. Solche Erkenntnisse sind entscheidend, um gezielt neue Materialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu entwickeln – etwa für Optik, Energiespeicherung oder Festkörperchemie.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Henning A. Höppe
Professor für Festkörperchemie und Materialwissenschaften
Institut für Physik
Telefon: 0821-598-3033
henning.hoeppe@uni-a.de
Originalpublikation:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ange.202521198
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