Kutte statt Blauhemd: neue Studie erforscht die »Heavy Metal«-Szene hinter dem Eisernen Vorhang
Lange Haare, schwarze Lederjacken, zerlöcherte Jeans, T-Shirts mit martialischen Monster-Motiven – so hatte sich das Regime der DDR die sozialistische Jugend nicht vorgestellt. Doch ausgerechnet unter jungen Arbeitern erfreut sich der Heavy Metal in den 1980er-Jahren enormer Beliebtheit und fand rasch immer mehr Anhänger. Heavy Metal war eine der größten Jugendsubkulturen der späten DDR. Nikolai Okunew vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) hat diese Szene erstmals historisch erforscht. In seinem Buch „Red Metal“ zeigt er, dass die Partei mit ihrem offiziellen Kulturprogramm den Kampf um die Gunst der Jugendlichen längst verloren hatte.
Nikolai Okunew (https://zzf-potsdam.de/de/mitarbeiter/nikolai-okunew) hat private wie staatliche Archive durchforstet und dutzende Interviews geführt. Das Ergebnis ist eine faszinierende popgeschichtliche Studie über die Entstehung und Entwicklung einer bislang kaum beachteten jugendlichen Subkultur: die „Heavy Metal“-Szene der DDR. Sie wurde in den 1980er-Jahren von der staatlichen Kulturpolitik ähnlich kritisch beäugt wie die Punks. Denn die Jugend sollte sich „niveauvoll“ kleiden, in der FDJ engagieren und Lieder singen, die sie fröhlich stimmt und die Liebe zur sozialistischen Heimat stärkt. Doch viele junge Menschen fühlten sich davon schon lange nicht mehr angesprochen. Immer stärker und offener wandten sie sich westlicher Popkultur zu. AC/DC, Motörhead, Metallica und Slayer begeisterten die Jugendlichen, nicht der kleine Trompeter. So wuchs die Metal-Szene in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre zur vermutlich größten jugendliche Subkultur in der DDR heran. „Die Fans waren enorm engagiert: Sie schrieben zahllose Briefe an den DDR-Staatsfunk und konnten so eine gewisse Akzeptanz der neuen Musikrichtung erzwingen – in den Medien und auf den Bühnen, aber auch auf den Straßen zwischen Rostock und Suhl“, erklärt Nikolai Okunew.
Bald gründeten sich auch eigene Metal-Bands in der DDR. Um die eigentlich nötige Spielgenehmigung und Einstufung scherten sich einige Gruppen gar nicht mehr. Ihre Fans reisten quer durch die DDR, feierten wilde Partys in Landgasthöfen, VEB-Kantinen und Jugendklubs – inklusive „Popo“ und „Stage Diving“. Die örtlichen Sicherheitsorgane waren oft überfordert. Plötzlich fielen Hunderte schwarz gekleidete Jugendliche in ein Dorf ein und freuten sich auf Alkohol und brachiale Musik. Doch verstanden sie sich als Gegner des sozialistischen Regimes? Nikolai Okunew wägt ab: „Wer die Welt verbessern wollte, hörte eher Punk. Die Metal-Fans hatten mit der DDR abgeschlossen. Viele stellten Ausreiseanträge. Geistig waren sie längst im Westen. Auf diese Weise wirkten sie zwar destabilisierend, verstanden ihr Handeln selbst aber nicht als politisch.“
Das Buch (https://zzf-potsdam.de/de/publikationen/red-metal) von Nikolai Okunew trägt nicht nur zu einem besseren Verständnis von Jugend in der spätsozialistischen DDR bei, sondern lenkt den Blick auf eigensinnig handelnde Akteure, die sich weder als Regimegegner verstanden noch auf der Seite der Herrschaftspartei verortet werden können. Damit gelingt dem Autor ein eindrückliches Porträt der Gesellschaft, die einerseits von der DDR geprägt war, sich andererseits aber längst von ihr verabschiedet hatte.
Dr. Nikolai Okunew ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Sein Buch „Red Metal: Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR“ erscheint am 15. November 2021 im Ch. Links-Verlag. Es basiert auf seiner Dissertationsschrift, die er am 7. Oktober 2020 an der Universität Potsdam mit Bestnote verteidigte.
Ort: Berlin
Jahr: 2021
Verlag: Ch. Links Verlag
Seiten: 352
ISBN: 978-3-96289-138-1
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Nikolai Okunew
okunew@zzf-potsdam.de
Weitere Informationen:
https://zzf-potsdam.de/de/publikationen/red-metal - Zum Buch "Red Metal"
https://www.zzf-potsdam.de Website Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung
https://www.christoph-links-verlag.de Website Ch. Links Verlag